Drei Mythen über den Separatismus in der Ostukraine

von Taras Klotschko, Espreso.TV, 7. April 2014

Zu einem Zeitpunkt, an dem aus den Regionen Donezk, Luhansk und Charkiw erneut russische Umtriebe gemeldet werden, hat sich der ukrainische Fernsehsender Espreso TV entschlossen, gegen einige der populären Mythen vorzugehen, die sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit und maßgeblich in den russischen Medien verfestigt haben.

Mythos Nr. 1: Die Führer der Separatisten in der Ostukraine sind in der Region verwurzelt und die Menschen dort stehen hinter ihnen

Alle separatistischen Bestrebungen in den östlichen Regionen laufen nach demselben Schema ab, das sich an den Ereignissen auf der Krim orientiert: Demonstranten mit russischen Flaggen proklamieren einen so genannten “Gouverneur des Volkes”. Diese haben keinerlei echten Rückhalt in der Bevölkerung, und verfügen daher weder über Autorität in der jeweiligen Region noch sind sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
Der erste solche “Pseudo-Gouverneur” war der 29-jährige Pavlo Gubarjew. Auf einer russischen Wikipedia-Seite wurde kürzlich seine Vita öffentlich gemacht. Dort ist von seinem heroischen Kampf für die “russische Idee” seit 2004 die Rede, und auch von Gubarjews Mitgliedschaft in Natalia Vitrenkos “Progressiver Sozialistischer Partei”. Allerdings sieht es so aus, dass Gubarjew auch in dieser Gruppierung – die sich auf politische Possen spezialisiert hat und vor allem für die idiotischen Statements ihrer abgedrehten Parteichefin bekannt ist – keinerlei Autorität besaß.

Gubarjew verdiente seinen Lebensunterhalt als Manager einer Firma, die Neujahrsfeiern für Kinder organisiert. In anderen Worten: Der “Gouverneur des Volkes” arbeitete als Weihnachtsmann auf Bestellung, eine Beschäftigung, die – obwohl natürlich nicht ehrenrührig – nicht eben besondere Autorität oder großes Sozialprestige mit sich bringt.
Nach der Verhaftung Gubarjews (am 6. März durch den ukrainischen Geheimdienst SBU, Anm. d. Ü.) brachten die Donezker Separatisten einen neuen “Volksgouverneur” in Stellung: Denys Puschylin, angestellt bei einer Firma namens “Sweet Life”. Durch seine Vergangenheit als Abteilungsleiter innerhalb der Finanzpyramide “MMM” (organisierter Anlagebetrug Anfang der 1990er Jahre, der Millionen Russen um ihre Ersparnisse brachte, Anm. d. Übers.) hat dieser Separatist eine gewisse Bekanntheit erlangt. Das bedeutet, dass dieser “Gouverneur des Volkes” nach wie vor für Diebe arbeitet. Zuvor waren es russische Wirtschaftskriminelle. Jetzt, da sich der Bezugsrahmen ein wenig erweitert hat, sind politische Kriminelle Puschylins Bosse.

In der Region Luhansk haben die Separatisten ebenfalls eine völlig unbekannte Figur als “Volksgouverneur” installiert: Oleksandr Charytonow, den Anführer der “Luhansker Garde”. Wie sein “Kollege” Gubarjew hat Charytonow eine Vergangenheit in der “Progressiven Sozialistischen Partei”, deren Umfrageergebnisse sich seit längerer Zeit am unteren Bereich der Nachweisgrenze bewegen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Einwohner von Luhansk bisher keine Ahnung von der Existenz dieses Politikers hatten.

Der “Volksgouverneur” der Region Charkiw ist zumindest lokal etwas bekannter, allerdings weniger wegen seiner positiven Eigenschaften: Ihor Masalow ist der Chef der Kampfgemeinschaft “Ehre und Würde” und Direktor des Zentrums “Kreml-Strategie”. Dieser ehemalige Komsomolze gehört nun der Partei der Regionen an und ist in Wiktor Medwedtschuks Organisation “Ukrainische Wahl” aktiv. In Charkiw ist Masalow vor allem bekannt als Chef der Aktiengesellschaft “Salamander”, bei der es sichaber in Wirklichkeit um eine Finanzpyramide handelt. Berichten lokaler Medien zufolge prellte Masalows Firma über 100.000 Menschen. Außerdem leitet Masalow noch ein Beerdingungsunternehmen. Somit ist dieser “Gouverneur des Volkes” ein gewöhnlicher Krimineller und Bestatter. Abgesehen davon spricht die Tatsache Bände, dass er bei Medwedtschuks “Ukrainischer Wahl” aktiv ist (die Organisation wirbt für die Annäherung an Russland, Wiktor Medwedtschuk selbst gilt als persönlicher Freund Wladimir Putins, Anm. d. Übers.).

Mythos Nr. 2: Die Bewegung zum Anschluss an Russland hat breite Unterstützung in der Bevölkerung

Die russischen Massenmendien verbreiten neben anderen Lügen aktiv die Legende, dass der Großteil der Bevölkerung im ukrainischen Südosten ungeduldig auf Putin, ihren panzerfahrenden Befreier, wartet und derweil von der Wiedervereinigung mit dem russischen Brudervolk träumt. In der Realität sieht das allerdings etwas anders aus. Die meisten Meinungsumfragen zeigen, dass im ukrainischen Südwesten nur eine kleine Minderheit die Vereinigung mit Russland befürwortet. Dieses Bild bietet sich sogar auf der Krim. Dies ist der Grund, dass Putins breite Unterstützung für das Referendum nur durch russische Truppen zustande kam.

Es reicht aus, sich nur die Teilnehmerzahlen der prorussischen Demonstrationen anzusehen, um Klarheit darüber zu gewinnen, dass die Separatisten keinen breiten Rückhalt haben. Auf ihnen versammeln sich selten einmal mehr als 1.000 Protestierende, was angesichts der Millionenstädte Donezk und Charkiw wirklich nicht viel ist; selbst für Luhansk, das immerhin 500.000 Einwohner hat, ist das dürftig. Somit findet man bei den “Massenprotesten” in Donezk durchschnittlich 0,1 Prozent der Bevölkerung. Man könnte in Donezk vielleicht von Massenprotesten sprechen, wenn 100.000 oder wenigstens 50.000 Menschen auf die Straße gehen würden. Dagegen sprechen Demonstrationen mit 1.000 bis 1.500 Menschen eher für groß angelegte Provokationen als für eine Volksbewegung. Schließlich nehmen an diesen Protesten zahlreiche “Touristen” aus dem nahen Ausland teil.

Mythos Nr. 3: Die Separatisten handeln im Einvernehmen mit Polizisten und anderen staatlichen Bediensteten

In letzter Zeit werden die Angehörige der ukrainischen Sicherheitsorgane allgemein kritisiert, weil sie nicht gegen separatistische Umtriebe vorgehen, vor allem nach den Ereignissen in Donezk und Charkiw, wo Verletzte und sogar Tote zu beklagen waren. Allerdings muss man sich bewusst machen, dass die Sicherheitsorgane in der Ukraine sich mit den Separatisten auseinandersetzen müssen, während zugleich russische Truppen enorme Kräfte massiert haben – und das in der unmittelbaren Nachbarschaft dieser Konfliktzonen im Grenzgebiet. Unbestreitbar wäre ein groß angelegtes Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen separatistische Demonstrationen ein exzellenter Vorwand für eine Invasion russischer Truppen “zum Schutz der russischsprachigen Bevölkerung”. Aus diesem Grund hat sich die Staatsmacht dafür entschieden, mit einer Taktik ohne Blutvergießen gegen separatistische Aktivitäten vorzugehen.

Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Polizei täglich separatistische Aktivisten festnimmt und die “Volksgouverneure” Gubarjew und Charytonow schon seit längerem in Haft sind. Außerdem haben die ukrainischen Sicherheitskräfte den Zustrom russischer “Separatismus-Touristen” bereits eindämmen können, wenngleich die ukrainische Ostgrenze weiterhin durchlässig bleibt.

Somit tritt die ukrainische Staatsgewalt umsichtig aber systematisch den separatistischen Umtrieben des Kreml entgegen, wobei sie aber bestrebt ist, keine gewalttätigen Auseinandersetzungen oder eine militärische Aggression gegen das Land zu provozieren.

Übersetzung: Elmar Schulte

Englische Übersetzung: Anna Mostowitsch euromaidanpr.com
Originalversion: espreso.tv

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